Kirche & Stadtteil

Ursprung auf dem Hamburger Berg

Bereits um 1600 gab es erste Ansiedlungen auf dem Gebiet zwischen Altona und Hamburg. Diese Vorstadt, Hamburger Berg genannt, und ihre Bewohner waren 1605 der kleinen Michaeliskirche, ab 1661 der großen Michaeliskirche zugeordnet. Die Kapelle des Pesthofes wurde genutzt, deren Lage heute bei dem ehemaligen „Israelitischen Krankenhaus“ in der Simon-von-Utrecht-Straße bestimmt werden kann.

Im Jahre 1682 wurde auf Wunsch der 2000 Anwohner auf dem Platz der heutigen St. Pauli Kirche, der bereits als Begräbnisstätte genutzt wurde, eine kleine Fachwerkkapelle errichtet und am 24. August des Jahres geweiht. Neben dem separaten Glockenturm befanden sich auf dem Gelände noch ein Pastorat und ein Beinhaus. Die St. Pauli Kirche mit ihrem ersten Pastor Döler bleibt zunächst jedoch eine Filialkirche des Michel und wurde erst 1745 „unabhängig“.

Am 3. Januar des Jahres 1814 brannten die französischen Besatzer den gesamten Hamburger Berg aus strategischen Gründen nieder. Neben den 484 Häusern und 297 Buden wurde auch die St. Pauli Kirche ein Opfer der Flammen.

französischen Besatzer
Am 3.1.1814 brannten die französischen Besatzer den gesamten Hamburger Berg nieder

Nur 2 Jahre nach dem Niederbrennen – 1816 – beschloss das Kirchen-Collegium von St. Michaelis den Neubau einer Kirche für den Hamburger Berg an selber Stelle. Beauftragt wurde der erste Hamburger Stadtbaudirektor Carl Ludwig Wimmel, der neben der klassizistischen Kirche auch zwei Kirchenhäuser sowie ein Predigerhaus entwarf.

Wimmels Entwürfe für die Kirche sind wohl aus Kostengründen nicht alle umgesetzt worden: Vorgesehen war es, das Gebäude zu verputzen und mit einen Glockenturm im italienischen Stil zu krönen. Beides wurde nicht ausgeführt.

Neue Kirche
Die tatsächlich erbaute Kirche mit Glockenstuhl
Der Innenraum der Kirche wurde 1980 saniert

Am 6. Mai 1819 erfolgte die Grundsteinlegung und nach nur 10 Monaten Bauzeit fand die Einweihung der Kirche am 2. März 1820 statt.

Der Innenraum des klassizistischen Sakralbaus erinnert stark an einen griechischen Tempel. Nach den ursprünglichen Plänen waren massive Säulen vorgesehen. St. Paulianer Schmiede stifteten filigrane Eisensäulen, auf denen die Empore „schwebt“. Der Kanzelaltar weist eine französische Tradition auf. 
Der Innenraum der Kirche wurde 1980 unter Aufsicht des Denkmalschutzamtes saniert und erhielt ihre ursprüngliche farbige Fassung wieder – ein Marmorimitat in Ocker sowie eine hellblaue Decke.

Aus der Fachwerkkapelle konnten 1814 vor der Vernichtung bewahrt werden: Der Taufstein von 1693, 4 Gotteskästen (der älteste von 1695) das Kruzifix um 1690, das Christian Precht zugeschrieben wird, und eine barocke Paulusfigur.

Das ebenfalls geplante Schulhaus (heute Einsatzleitung der Diakonie St. Pauli und Gemeindesaal) konnte erst 1846 realisiert werden. 1833 wurde der Stadtteil Hamburger Berg in „St. Pauli“ umbenannt – unsere Kirche gab dem Stadtteil somit seinen Namen. Hieran erinnert die Inschrift auf den Torpfosten des Eingangs zum Kirchhof an der Antonistraße.

Um 1840 hat St. Pauli 50 Straßen und 11.000 Einwohner. 135 Händler und Kaufleute, 146 Handwerker, 250 vom Hafen lebende Berufe, über 100 Kapitäne, gut 100 Wirte und 150 registrierte Prostituierte in 20 Bordellen verdienen ihr Geld auf St. Pauli.

Das Kruzifix um 1690
Taufbecken
Der Taufstein von 1693 mit neuem Deckel
Die barocke Statue des Heiligen Paulus

Im Jahre 1864 konnte nach Plänen von Max Wallenstein ein Kirchturm mit neoromanischen und neogotischen Stilelementen errichtet werden, auch Dach und Fassade wurden baulich verändert.

In dem Turm befindet sich das Sakralgeläut, Viertel- und Stundenglocke sind aussen am Turm angebracht. Auf dem Kirchhof darf seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert nicht mehr bestattet werden, eine Gräberreihe erinnert noch an die ehemalige Funktion. Heute wird das Gelände als Kirchgarten mit altem Lindenbestand vielfältig genutzt.

Heutige Ansicht des Kirchturms mit Uhr

Die anderen Kirchen St. Paulis

Die Gnadenkirche

Während der Gründerzeit wurde das nördliche St. Pauli (Karoviertel und Schanzenviertel) immer dichter bevölkert. Die evangelisch-lutherische Gemeinde der St. Pauli Kirche, die seit 1683 ihren Standort am Hafenrand hat, entschied sich zunächst für die Errichtung zweier Pastorate (1895 und 1901/02), um dieses Gebiet besser versorgen zu können, und schließlich zur Gründung einer Filialkirche. Der Grundstein der Gnadenkirche wurde am 8. Juli 1906 gelegt, die Einweihung konnte am 1. Dezember 1907 stattfinden.

Der „Gnade Gottes“ wurde die Boulevardkirche gewidmet, eine bewusste Bezugnahme auf ihren Standort zwischen den Gerichten und dem Gefängnis Holstenglacis.

Der Bau wurde nach Entwürfen von Fernando Lorenzen (1859-1917) ausgeführt: Den Grundriss der Kirche bildet ein griechisches ( gleichschenkliges) Kreuz. Der Zentralbau ist von ostkirchlichen Sakralbauten inspiriert, insbesondere vom Bautyp georgischer Kirchen.

Im 2. Weltkrieg wurde das Gebäude erheblich zerstört und erst 1947 wiedereröffnet. In den 60er Jahren sank die Bevölkerungszahl des Gemeindegebiets deutlich. Man rechnete mit einem bevorstehenden Abriss des Karoviertels. Der gravierende demografische Wandel im nördlichen St. Pauli und die isolierte Lage auf einer Verkehrsinsel liess immer wieder nach einer überregionalen Nutzung des Kirchengebäudes fragen. In den 80er und 90er Jahren wurde die Gnadenkirche durch das Dialogprogramm „Kunst und Kirche“ bekannt, so stellten hier u. a. „Die Schlumper“ aus. 2002 fusionierte die Gemeinde mit der „Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Pauli-Süd“. Da die erheblichen Renovierungskosten der Gnadenkirche die Finanzkraft der Gemeinde überstiegen, wurden neue Nutzungsmöglichkeiten erwogen. Um das Gebäude als Gotteshaus zu erhalten, wurde es 2004 an die Russisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats übergeben. Damit wurde ein Zeichen der ökumenischen Geschwisterschaft gesetzt. Der aus Sandstein gefertigte Altar der Gnadenkirche befindet sich heute in der St. Pauli Kirche.

Die Matthiaskapelle in Waltershof

Das auf der anderen Elbseite gelegene Waltershof gehörte ebenfalls zur Gemeinde. Vor dem Bau der 1953 errichteten Matthiaskapelle befand sich dort ab Pfingsten 1946 nur eine umgewandelte Baracke – auch als „Hartmannsche Kapelle“ bekannt –  als Ort für den Gottesdienst. Zuvor nahmen viele Gemeindeglieder den Weg über die Elbe zur St. Pauli Kirche in Kauf.
Zum 1. Januar des Jahres 1963 wurde die Kapelle nebst Gemeindegebiet (ca. 1500 Gemeindeglieder) an die Kirchengemeinde in Finkenwerder übergeben. 1967 wurde die Matthiaskapelle nach Langenhorn transportiert und diente dort bis 1973 als Kapelle der Zachäus-Gemeinde. Danach wurde das Gebäude abermals umgesetzt, und zwar zur Bodelschwingh-Gemeinde in Winterhude und dort als Jugendtreff genutzt. Das Gebäude ist Anfang 1993 durch Brand zerstört worden.

 

Bei der Sturmflut am 16./17. Februar 1962 waren in Waltershof 44 Todesopfer zu beklagen.

Kapelle Waltershof
Paulinenkirche

Die Kapelle am Paulinenplatz

Seit 1954 gehört auch die Kapelle am Paulinenplatz zur St. Pauli Gemeinde (Auferstehungsgemeinde), die 1915 von der J.-H. Donnerstiftung erbaut wurde. 1972 wurde der Bezirk aufgelöst, nachdem schon 1963 die Kapelle wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste.

Kreuz, Anker, Herz – Chronik zum Jubiläumsjahr

„Kreuz, Anker, Herz“ – 200 Jahre St. Pauli Kirche – das sind mehr als zwei Jahrhunderte Geschichte vom Kiez und seinen Bewohnern. Mit Texten von Robert Brack, und Illustrationen von Isabel Kreitz.
Für Donnerstag, den 19. März war die Vorstellung unserer Chronik „Kreuz, Anker, Herz“ geplant. Die Feierlichkeiten werden nachgeholt, die Chronik ist bereits erhältlich überall im Handel und beim Hamburger Abendblatt. (abendblatt.de/magazine oder in der Hamburger Abendblatt Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32). Preis: € 9.80 ggf. zzgl. Versandkosten.

Lampedusa auf St. Pauli

„We are Here to Stay“ mit diesem Satz haben 2013 auf den Straßen Hamburgs Lampedusaflüchtlinge demonstiert und ihre Rechte eingefordert. Eine Gruppe von etwa 300 Männern und einige Familien waren auf den Straßen Hamburgs gestrandet. Als Bürgerkriegsflüchtlinge in Lybien kamen sie 2011 über Lampedusa in italienische Lager. Schlecht versorgt und perspektivlos auf die Straße gesetzt kamen sie nach Deutschland. Hamburg nahm die Flüchtlinge zunächst ins Winternotquartier, das aber im Frühjahr auslief.

Am 2. Juni fanden über 80 Lampedusaflüchtlinge Zuflucht in der St. Pauli Kirche. Die Gemeinde und der Stadtteil zeigten sich solidarisch und leisteten humanitäre Nothilfe. Im Kirchgarten wurde eine „Embassy of Hope“ gegründet, in der Geflüchtete ihre Überlebensgeschichte erzählen konnten. Willkommensfeste wurden gefeiert, der FC Lampedusa wurde gegründet und spielte am Millerntor mit Unterstützung des FC St. Pauli, das Thalia Theater veranstaltete die Urlesung von „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek. Als der politische Druck stieg, wuchs die Solidarität mit der Lampedusagruppe. Tausende demonstrierten auf den Straßen Hamburgs für ein Bleiberecht. Im Oktober eskalierte die Situation nach einem massiven Polizeieinsatz um die St. Pauli Kirche. Nach Verhandlungen durch die Bischofskanzlei schuf der Senat schließlich einen Verfahrensrahmen, der den Geflüchteten eine Aufenthaltsperspektive bot. Über 120 Geflüchtete haben dieses Verfahren mittlerweile durchlaufen, haben Arbeit und Aufenthalt und sind ein Teil unserer Gesellschaft geworden. Im Jahr 2023 wurde das zehnjährige Jubiläum unter dem Motto „Here to stay“ gefeiert.

Was nachdenklich macht: Bereits 2013 hatte Papst Franziskus angesichts der Flüchtlingsnot auf Lampedusa eine „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ beklagt. In den letzten 10 Jahren sind über 25.000 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ertrunken.

Lampedusa 2013, Foto: Axel Heimken